Ausstellungseröffnung „An jedem dritten Tage“ (24. 11. 2022)

Emotionale Ausstellungseröffnung zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen

 

Es ist der 05. August 2020 in Berlin. Die 15-jährige Noelle ist auf dem Heimweg und begegnet dabei einem fremden Mann. Eine Stunde später ist sie tot. Den Ermittlungen zufolge hat dieser Mann sie erst vergewaltigt und dann mindestens sechs Minuten zu Tode gewürgt. Dies ist der Hintergrund der Ausstellung „An jeden dritten Tage“, die wir gestern zusammen mit dem Frauenhaus anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen eröffnet haben. Hochemotional wurden die stimmungsgeladenen und berührenden Bilder der Fotokünstlerin Sina Niemeyer aufgenommen. Das Einzelschicksal von Noelle steht dabei stellvertretend für ein gesamtgesellschaftliches Problem - Femizide. Das heißt, dass Frauen und Mädchen aufgrund ihres wahrgenommenen Geschlechts getötet werden. 2020 gab es in Deutschland 139 solcher Fälle, so die offizielle Zahl des BKA. Während Noelles Fall nicht in dieser Statistik auftaucht und die Medien immer wieder an einer respektvollen und adäquaten Berichterstattung scheitern, gibt es in Deutschland jeden Tag einen Mordversuch an einer Frau durch ihren (ehemaligen) Partner. An jedem zweiten bis dritten Tag wird er vollendet. 

 

Mit dieser Ausstellung rücken wir einmal mehr diesen wichtigen Gedenktag und damit auch das Tabuthema „Gewalt gegen Frauen“ in den Fokus der Öffentlichkeit. Viel zu oft wird weggesehen, weggehört, verharmlost – die Fotografin Sina Niemeyer will sich damit nicht abfinden. Wie viel ihr das bedeutet, geben die eindrucksvollen Bilder wieder. Dabei ging es der Künstlerin nicht darum, die Tat zu rekonstruieren, sondern die Geschichte von Noelle und was das Geschehene mit der Mutter und der Schwester gemacht hat visuell nachzuerzählen. Die Bilder sind in enger Zusammenarbeit mit der Familie entstanden und kombinieren Fotografien von Noelles direktem Umfeld mit Kindheitszeichnungen und Zitaten der Familie, aus dem Gerichtssaal oder eigenen Gedanken. Noelles Mutter erlebte die Arbeit als Sprachrohr für Dinge, für die sie zu dem Zeitpunkt selbst keine Worte oder Ausdrucksmittel hatte.

 

Die atmosphärischen, mehrdeutigen Bilder machen das Opfer sichtbar, auch im Unsichtbaren. Sie sind eine Art Aufforderung zum Hinsehen und Nachdenken, man kann nicht einfach vorbeigehen. Still schauen sich die vielen Gäste an diesem Nachmittag die Kunstwerke an. Nicht selten sind der besagte Kloß im Hals und die Gänsehaut regelrecht spürbar. Der Künstlerin gelingt es, ihren Arbeiten eine große Tiefe zu verleihen. Das Opfer wird nicht ausgebeutet, die Geschichte nicht reißerisch und unsensibel dargestellt. Das persönliche und subjektive Erleben steht im Vordergrund und wird dabei in ein künstlerisches Konzept unnachahmlich integriert. Die Tragweite dieses Themas wird spür- und erfahrbar. Die Fotografien von Sina Niemeyer sind Ausdruck und Sprache für das was wichtig ist und was mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte. Für ihr Werk wurde die Künstlerin bereits mehrfach ausgezeichnet und auch in der Medienlandschaft wurde ihr Gehör geschenkt.

 

Vor 23 Jahren verabschiedete am 17. Dezember 1999 die UN-Generalversammlung den 25. November als den „Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ – ein Meilenstein. Man zeigte sich damals beunruhigt darüber, dass Frauen nicht in den vollen Genuss ihrer Menschenrechte und Grundfreiheiten kommen, und besorgt darüber, dass es nach wie vor nicht gelungen ist, diese Rechte und Freiheiten im Falle von Gewalt gegen Frauen zu schützen und zu fördern. Hintergrund für die offizielle Initiierung des Aktionstages war die Entführung, Vergewaltigung und Folterung dreier Schwestern und ihre Ermordung im Jahr 1960. Die Schwestern Mirabal waren in der Dominikanischen Republik durch Militärangehörige des damaligen Diktators Rafael Trujillo verschleppt worden.

 

Auch heute noch ist Gewalt an Frauen die meist verbreitete Form  der Menschenrechtsverletzung und stellt nach Angaben der WHO immer noch eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen dar. Jede dritte Frau hat mindestens einmal sexuelle und/oder physische Gewalt erlebt. Etwa jede vierte Frau erlebt Gewalt in der Partnerschaft, so offizielle Statistiken. Häusliche Gewalt ist sowohl körperlich als auch seelisch besonders belastend, weil sie zu Hause stattfindet – an einem Ort, der eigentlich Schutz und Geborgenheit vermittelt und von einem Menschen ausgeht, dem man vertraut. Eine wichtige Anlaufstelle für von Gewalt betroffene Frauen sind Frauenberatungsstellen, Frauenzentren und Frauenhäuser. Unser Trägerverein „Frauen helfen Frauen“ bietet alle drei Einrichtungen an: seit April 1991 das Frauenhaus und die Frauenberatungsstelle und seit Oktober 1996 das Frauenzentrum.

 

Wir bedanken uns bei allen Gästen und Interessierten. Die Ausstellung kann bis Ende Januar 2023 kostenlos besichtigt werden. Eine vorherige Anmeldung unter 03494-21005 ist wünschenswert.



 

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